Vieles im Verhältnis von Land und Kommunen aus dem Lot geraten

Städtetag
27 Okt
Donnerstag, 27. Oktober 2011
In seiner letzten Rede als Präsident des Hessischen Städtetages zieht Oberbürgermeister Stefan Gieltowski Bilanz über die Entwicklung der Jahre 2009 bis 2011, schaut aber zugleich nach vorne.

So vermittelt er: „Gutachterschlachten, Rededuelle, Demonstrationen, gleich mehrere Klagen vor dem Staatsgerichtshof: Dies zeigt, dass vieles im Verhältnis von Land zu Kommunen aus dem Lot geraten ist. Denn auch früher haben wir uns mit dem Land auseinandergesetzt; nie aber mussten wir uns in so massiver Weise wehren wie in den letzten zwei Jahren.“  

Nachstehend finden Sie den inhaltlichen Kern von Gieltowskis Rede:  

„Die vergangenen beiden Jahre waren von Ereignissen geprägt, für die es beim Hessischen Städtetag kein Beispiel gibt. Das Land hat uns im Kommunalen Finanzausgleich ab dem Jahr 2011 die unvorstellbare Summe von 350 Mio. Euro entzogen. Das macht für uns, je nach Jahr und Rechnung, rund 12 Prozent der uns angestammt zustehenden Finanzausgleichsmasse aus. Ich nenne diese Prozentzahl, weil in Zeiten der Milliarden- und Billionenverschuldungen von Staaten und Ländern eine Summe von 350 Mio. Euro schwer zuzuordnen ist, vielleicht gar als gering empfunden wird.

Erstmals haben alle drei kommunalen Spitzenverbände vor dem Hessischen Landtag gegen dieses finanzpolitische Manöver lautstark demonstriert. Ein einmaliges Ereignis, das dem massiven Eingriff in die kommunalen Finanzen geschuldet war.
Dabei will ich betonen, dass dieser Eingriff nicht etwa die Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise Ende des letzten Jahrzehnts gewesen ist. Sie war Folge einer willkürlichen Neubewertung der Finanzverhältnisse zwischen Land Hessen und seiner 426 Kommunen und 21 Landkreise, die das Land nach eigenem Gusto festgestellt hat. Das Land hat dafür Gutachter ins Rennen geschickt, die mittlerweile von einem anderen renommierten Sachverständigen widerlegt worden sind.
Von einem Sachverständigen, an dessen fachlichen Qualifikationen das Land kaum Anstoß nehmen wird, weil es diesen Professor selbst als Gutachter im Zusammenhang mit den Sozialausgaben der hessischen Kommunen beauftragt hatte.

Die hessische Landesregierung neigte dazu, die Demonstration von hauptamtlichen und ehrenamtlichen kommunalen Mandatsträgern als ein eher einmaliges Tagesereignis abzutun – nach dem Motto, „Jammern ums liebe Geld gehört zum täglichen Geschäft der kommunalen Spitzenverbände“. Ja, unsere Macht endet vor den Toren des Landtages. „Wir haben keine Stimmengewalt im Gesetzgebungsverfahren. Setzen aber auf die Macht der besseren Argumente“.

Statt eines Signals zur Rückgabe der 350 Mio. Euro plant der Finanzminister inzwischen das genaue Gegenteil im Kommunalen Finanzausgleich 2012.
Er nimmt den Verkehrsverbünden 20 Mio. Euro und steckt diese, statt sie den Schlüsselzuweisungen an die Kommunen zuzuführen, in die eigene Tasche des Landeshaushaltes. Schon wieder ein Entzug! Wir können dem nicht tatenlos zusehen, wir müssen nachhaltig kritisieren.

Immerhin hat Herr Ministerpräsident Bouffier erkannt, dass die Kommunen in Not sind und einen mit drei Milliarden Euro dotierten Entschuldungsfonds in Gang gebracht. Zur Erklärung: Drei Milliarden Euro bilden gerade einmal etwa ein Viertel der zum Stand des Jahres 2009 unvermeidlich aufgelaufenen Schulden der hessischen Kommunen und Landkreise in Höhe von rund zwölf Milliarden Euro. Tendenz weiter steigend, was die Schuldenstände angeht, nicht fallend. Wenn ich das richtig werte, will das Land nun „nur“ 100 Millionen Euro im Jahr für diesen Entschuldungsfond ausschütten.

Bei dieser niedrigen Jahresdotierung gerät eine gute Idee des Ministerpräsidenten womöglich ins Wanken. Zugleich aber bilden 100 Millionen Euro nicht einmal ein Drittel dessen ab, was das Land uns soeben auf Dauer im KFA entzogen hat. Möglicherweise ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Hier 350 Mio. Euro Entzug, dort nur 100 Mio. für den Fonds, das kann keine Kompensation, das kann kein Ausgleich sein. Wir fordern die Rückgängigmachung dieses Entzugs.  

Es wird Klagen beim Staatsgerichtshof geben. Der Hessische Städtetag wird gegen die Kompensationsumlage klagen, der Hessische Landkreistag den Kommunalen Finanzausgleich insgesamt infrage stellen, weil er für Hessens Kommunen nicht auskömmlich ist. 39 Kommunen haben zudem längst Klage beim Staatsgerichtshof in Beistandschaft des Hessischen Städtetages erhoben. Es ist leider bezeichnend, dass die Kraft der besseren Argumente inzwischen bis an die Schwellen der Gerichte getragen werden muss.

Gutachterschlachten, Rededuelle, Demonstrationen, gleich mehrere Klagen vor dem Staatsgerichtshof: Dies zeigt, dass vieles im Verhältnis von Land zu Kommunen aus dem Lot geraten ist. Denn auch früher haben wir uns mit dem Land auseinandergesetzt; nie aber mussten wir uns in so massiver Weise wehren wie in den letzten zwei Jahren.

Ich warne davor, dass bei einer weiteren Verhärtung der Gang zum Gericht oder öffentliche Demonstrationen zum Regelfall der Auseinandersetzung werden. Der finanzielle Verteilungskampf wird in diesem Jahrzehnt eher zunehmen, weil die zu verteilenden Ressourcen begrenzt sind — nicht nur, aber auch wegen des Instituts der Schuldenbremse. Wir müssen die Gesprächsfähigkeit des Landes einfordern.

Wir sehen, dass es auch anders geht. Im so genannten „Dialogverfahren“ haben Land und Kommunen Anfang letzter Woche einvernehmlich ganz manierliche Ergebnisse erzielt. Entscheidend ist aber auch dabei das Maß: Es reicht nicht für eine gedeihliche Zukunft zwischen Land und Kommunen, wenn das Land im großen Stil Mittel entzieht und in ganz kleinem Umfang Vereinbarungen geschlossen oder Kompromisse erzielt werden. Der Hessische Städtetag wartet auf ein klares Signal zur Rückgabe der 350 Mio. Euro an den KFA.

Meine Damen und Herren, hinter diesem aus Bürgersicht eher abstrakten Kampf um die nötigen Geldmittel steht das Bedürfnis, die Interessen unserer Bevölkerung zu wahren. Wir alle wissen, dass wir für die unter Dreijährigen enorme Anstrengungen leisten müssen, damit sie mehr Betreuungsplätze erhalten. Bund und Länder haben auf dem Krippengipfel 2007 Ziele an andere, an uns, ausgegeben. Wir Kommunen sollen jetzt jedem Kind unter drei Jahren einen Platz verschaffen, dessen Eltern diesen haben wollen.

Wir teilen den familienpolitischen Anspruch, Eltern zu ermöglichen, gleichzeitig berufstätig zu sein und ihre Kinder zu erziehen. Aber ohne die notwendigen Investitions- und Betriebsmittel bedeutet diese wachsende Aufgabe, Schulden in den Kommunen zu machen und damit gerade unseren Kindern einen Teil ihrer Zukunft zu erschweren. Wir sollen ja nicht nur mehr Plätze schaffen. Gefordert ist zugleich vorschulische Bildung in der Altersgruppe bis zu sechs Jahren. Dies fordert qualifiziertes Personal, mehr Stellen. Das geht nicht in Städten, denen das Land zu wenig Mittel für ihre Aufgaben belässt.

Meine Damen und Herren, schauen wir auf die Energiewende. Eine Herausforderung ohnegleichen an die Politik, insbesondere an die Kommunalpolitik. Von den Kommunen wird erwartet, dass sie die Bürger von unliebsamen Entwicklungen überzeugen, Standorte für neue Überlandtrassen kritischen Bürgern gegenüber verteidigen, für neue Windräder und Solaranlagen in der Stadt werben und die Bürgerschaft in neuen Energieformen, beim Energiesparen beraten.

Die Kommunen sind Leistungs- und Lastenträger für die Energiewende, die glücklicherweise eingeleitet wurde. Sie übernehmen diese Aufgabe gern und werden sie gut erledigen, auch weil sie vor Jahren längst mit dieser Aufgabe angefangen haben, lange bevor es eine Energiewende gab.

Nur: Das alles wird nicht funktionieren, wenn sie keine aufgabengerechten Finanzmittel erhalten. Und all dies wird nicht funktionieren, wenn die Kommunen mit ihren Versorgungsbetrieben und mit ihren Wirtschaftsunternehmen in der Grauzone des Rechts operieren müssen. Die Kommunen brauchen juristische Sicherheit und die Freiheit zur wirtschaftlichen Betätigung, bei der sie dann auch gerne die Rückendeckung des Landes verspüren wollen. Wir wissen, dass wir bei den großen Landtagsfraktionen ein offenes Ohr haben, brauchen aber die Rückendeckung der Landesregierung.  

OB Gieltowski hat sich zum Ende seiner Rede intensiv mit dem Thema „Sonderstatusstädte“ auseinandergesetzt. Dieser Teil seiner Rede wird in der nächsten Ausgabe „Informationen Hessischer Städtetag 11-12/2011“ veröffentlicht.  

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